Wir sind mit einem Beitrag in der Fachzeitschrift „Sicherheitsbeauftragter“ im Heft 09/2025 vertreten. Es folgen Auszüge aus dem Beitrag:
Wie ein von der Berufsgenossenschaft gefördertes Verkehrssicherheitskonzept konkret aussehen kann, zeigt ein Blick in die Praxis bei der Nikolaus Rathmann GmbH & Co. KG, einem Logistikunternehmen mit Sitz in Braak bei Hamburg.
Wie konnte der Lkw-Fahrer beim rückwärtigen Rangieren einen parkenden Pkw übersehen? Was war die Ursache dafür, dass ein Kollege das neben ihm fahrende Auto rammte, als er mit seinem Sattelzug die Fahrspur wechselte? Weshalb war einem anderen Kollegen nicht klar, wie weit sein Heck beim Abbiegen ausschwenken würde? Um solche Fragen geht es bei den sogenannten Verursachergesprächen mit Mitarbeitenden, die in entsprechenden (Beinahe-)Unfallsituationen am Steuer saßen. Dieser persönliche, unter vier Augen geführte Dialog ist ein zentrales Element des betriebseigenen Verkehrssicherheitskonzepts, das von der BG Verkehr gefördert wird. „Ein Ansatz dabei war, dass wir mit jedem Fahrer, der einen Schaden verursacht hat, ins Gespräch kommen wollten, um ihn künftig für vermeidbare Schäden zu sensibilisieren“, erläutert Danilo Smoczynski, Geschäftsführer der für das Risk Management bei Rathmann zuständigen Prevamo GmbH. „Denn in solchen Fällen hätte der Schaden jeweils durch mehr Achtsamkeit, eine bessere Spiegeleinstellung oder den regelmäßigen Spiegelblick verhindert werden können.“
Verursachergespräche mit Respekt
Diese Gespräche sollten keinesfalls mit anschuldigenden Fragen wie etwa: „Warum bist du dagegen gefahren?“ geführt werden. Vielmehr sei das Ziel, rein sachlich und mit behutsamer Wortwahl die jeweilige Ursache zu ermitteln, um diese Erkenntnisse in den internen Kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) einfließen zu lassen, der wiederum eine tragende Säule jedes Qualitäts- oder Arbeitsschutzmanagements ist. Dafür braucht es eine in dieser Art der Gesprächsführung und Lkw-Verkehrssicherheit geschulte Person im Unternehmen – einen Fahrer-Coach, in anderen Unternehmen auch als „Master Driver“ bezeichnet. Diese Aufgaben hat Stefan Schulze für den circa 100 Nutzfahrzeuge umfassenden Fuhrpark bei Rathmann übernommen. Danilo Smoczynski qualifizierte ihn dafür mit Train-the-Trainer Sequenzen.
Training für den Fahrer-Coach
Das Training enthielt unter anderem Hinweise dazu, wie der Fahrer-Coach im Verursachergespräch auf Einwände reagieren kann oder wie er ein Bewusstsein dafür schaffen kann, dass beispielsweise Ziergardinen in der Kabine oder ein Namensschild in der Frontscheibe die Sicht beeinträchtigen können. „Die persönliche Gestaltung ‚seines‘ Lkw ist oft der ganze Stolz des Fahrers und wir haben dafür durchaus Verständnis“, sagt der Prevamo-Experte. „Aber man kann das Namensschild auch höher hängen, sodass der Blick nach unten zur Straße frei ist.“
Danilo Smoczynski weiß, wovon er spricht: Bevor er sich selbstständig machte mit seiner auf das Risk Management bei Firmenfahrzeugen und Flottenbetreibern spezialisierten Firma, war er jahrelang in einer Spedition im Gefahrgutbereich für Qualitätssicherung zuständig. Nun, in seiner beratenden Funktion bei Rathmann, leitet er auch jeweils Lösungen in die Wege, unterstützt vom Fuhrparkleiter und einem für das Schadenmanagement zuständigen Mitarbeiter. Dabei nutzen die drei die Erkenntnisse aus den Mitarbeitergesprächen des Fahrer-Coachs, der ebenfalls einbezogen wird. „Wenn wir eine Ursache ermittelt haben wie zum Beispiel Dunkelheit bei einer Anlieferstelle, die regelmäßig angefahren wird, dann können wir uns an den Kunden wenden und ihn bitten, dort eine Beleuchtung anzubringen. Oder wir bauen selbst einen Zusatzscheinwerfer am jeweiligen Lkw an.“ Auch solche Korrekturmaßnahmen seien möglich, weil sich im Rahmen des von der BG bewilligten Verkehrssicherheitskonzepts auch Arbeitsmittel und andere technische Maßnahmen fördern lassen.
Ein geförderter Spiegel-Einstellplatz
Auf diese Weise entstand auch eine Einrichtung, die Rathmann-Fahrer an wechselnden Orten nutzen können: Ein mobiler Spiegel-Einstellplatz, mit dem sie trainieren, wie die Spiegel an ihren Lkw exakt einzustellen sind, um den toten Winkel so weit wie möglich zu reduzieren. Auslegbare Planen mit entsprechenden Farbflächen und Markierungen bilden dabei eine Zufahrt, in der das Fahrzeug platziert wird. Eine aufstellbare Figur verdeutlicht, wo eine Person noch sichtbar wäre. Die Train-the-Trainer-Ausbildung der Fahrer-Coachs mit den Verursachergesprächen und jeweiliger Lösungsfindung sind ein Teil des etablierten Verkehrssicherheitskonzepts. Für alle Fahrer gibt es außerdem noch ein weiteres zentrales Element: Das sogenannte Impulstraining mit Ausbildungsstationen zu verschiedenen Themen. Durchgeführt wird es zum Beispiel bei internen Safety Days.

Abgeholt mit Kaffee und Imbiss
Zum Impulstraining gehört auch der Welcome-Point: Alle zurückkehrenden Fahrer werden anschließend mit einer Tasse Kaffee und Bockwurst an einem Kaffee-Anhänger begrüßt. In dieser geselligen Atmosphäre fällt es leicht, auch mit Fahrern ins Gespräch zu kommen, die noch keinen Schaden verursacht haben. Hast du so etwas schon einmal an einer Lieferstelle mitbekommen? Weißt du, wo das passieren könnte? „Mit solchen Fragen holen wir alle Mitarbeitenden ab und können jeden Einzelnen sensibilisieren“, sagt der Präventionsexperte. Bebilderte Handouts unterstützen dabei.
Das für Rathmann entwickelte Verkehrssicherheitskonzept verfolgt insgesamt ein oberstes Ziel, wie Danilo Smoczynski weiter erläutert: „Die schlimmen Lkw-Unfälle wie das Auffahren auf das Ende eines Staus bilden die Spitze der Vorfallpyramide. Wir setzen jedoch ganz unten an, indem wir möglichst alle unsicheren Handlungen reduzieren. Dies hat den Effekt, dass die Fahrer allgemein sensibilisiert werden und zum Beispiel an Engstellen oder im fließenden Verkehr aufmerksamer sind. So konnten wir bisher erfolgreich vermeiden, ganz oben an der Vorfallpyramide anzukommen.
In Planung: Die Fahrerliga
An die bisherigen Erfolge möchte Rathmann mit der Unterstützung von Prevamo weiter anknüpfen. So ist für das kommende Jahr geplant, ein weiteres Konzept zu entwickeln und bei der Berufsgenossenschaft zu beantragen. „Weil das Niveau der Beschäftigten schon jetzt hoch ist, gehen wir dann speziell in die Fahrstilanalyse und gestalten einen Wettbewerb dazu“, verkündet Danilo Smoczynski, der auch Diplompädagoge ist und spielerische Maßnahmen ohne erhobenen Zeigefinger schätzt. Bei der sogenannten Fahrerliga soll es verschiedene Kategorien geben wie etwa „Tempomat-Nutzung verbessern“, „Motor aus bei Stillstand“ oder „Im Bremsverhalten scharfes Bremsen vermeiden“. Während einer Hin- und Rückrunde können sich die Fahrer dann komplett auf eine Kategorie konzentrieren, sich verbessern und am Ende eine Prämie gewinnen. „Die Erfahrung mit anderen Firmen zeigt, dass sich die Fahrer dabei tatsächlich verbessern und es ihr Sicherheitsbewusstsein positiv beeinflusst.“